Warum ist Schulpflicht eine Einbahnstraße?

 


Warum ist Schulpflicht eine Einbahnstraße?

Rechte und Pflichten: Schüler & Eltern vs. Lehrkräfte

Vor ein paar Jahren brachte eines meiner Kinder die Hausordnung der Schule nach Hause. Bereits beim Lesen fiel mir auf, dass sich mir bei einigen Regeln die Sinnhaftigkeit nicht erschließt. Zusätzlich werden in der Hausordnung Strafen bei Nichteinhaltung angedroht. Wie ich in den Jahren zuvor immer wieder feststellte, fehlt es an Flexibilität, Verständnis für die individuellen Bedürfnisse der jungen Menschen und an einer Untersuchung der Ursachen für Regelverstöße. Es wird bestraft, wie es in den Vorgaben festgelegt ist, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse, Gefühle und Hintergründe des jungen Menschen.

Im Folgenden gebe ich zu einigen Punkten meine persönlichen Ansichten wieder. Diese ergeben sich zum einen, aus meinen persönlichen Erfahrungswerten und zum anderen, aus Gesprächen mit Eltern und Schülern. Mir ist bewusst, dass es bereits gute alternative Schulen gibt, welche Bedürfnisse und Gefühle junger Menschen berücksichtigen und begleiten. Dennoch ist die Anzahl dieser Alternativen recht gering und nicht für alle Familien und an allen Orten zugänglich.

„I. Geltungsbereich der Hausordnung:

1. Die Hausordnung gilt für alle Schüler, Angestellten und Besucher für die Dauer ihres Aufenthaltes im gesamten Schulgebäude. […]

Nach meiner Erfahrung gelten die meisten Regeln, Verbote und Disziplinarmaßnahmen hauptsächlich für Schülerinnen und Schüler. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Lehrkräfte weder ermahnt, noch verwarnt worden, wenn sie gegen die Hausordnung verstoßen. Zudem spiegelt folgender Absatz ein anderes Bild:

„[…] II. Verhaltensregeln – Unterricht/Pausen

1. Jeder Schüler hat sich diszipliniert gegenüber Lehrern, dem Schulpersonal und den Mitschülern im Unterricht, während der Pausen und in den außerunterrichtlichen Veranstaltungen zu verhalten. Die Sicherheit und die Gesundheit aller im Schulbereich befindlichen Personen darf nicht gefährdet werden. […]“

In den weiterführenden Absätzen werden ebenfalls oft nur Schüler zum Befolgen der Regeln angehalten, wobei es sich meist um Aktivitäten handelt, die alle betreffen. Es wird evtl. davon ausgegangen, dass es nicht notwendig sei, zu erwähnen, dass Lehrkräfte ihre Arbeitsmaterialien beisammenhaben, pünktlich zum Unterricht erscheinen und Schulinventar nicht beschädigen sollten. Ist dem so?

Eine Hausordnung auf Augenhöhe sollte an alle gerichtet sein und würde nicht eine Gruppe darstellen, als wäre diese besonders gut oder schlecht darin, Regeln einzuhalten.

„[…] II. Verhaltensregeln – Unterricht/Pausen

6. In der ersten Hofpause verlassen alle Schüler das Schulhaus und halten sich auf dem Schulhof auf. In der 2. Hofpause dürfen die Schüler der Klassen 7 bis 10 das Schulgelände zum Zwecke der Esseneinnahme verlassen. […]“

Es gibt junge Menschen, für welche die große Pause das schlimmste Ereignis des Schultages ist. Gedränge auf den Fluren und Gewalt auf dem Schulhof sind keine Seltenheit. Gerade letzteres hat eines meiner Kinder zu oft erlebt. Mitschüler, die schlagen, treten, würgen und ihren ganzen Frust an anderen ungebremst auslassen. Die Pausenaufsicht ist entweder nicht in Sichtweise oder hat kein Interesse daran, bei Gewaltverhalten einzugreifen.

„Wir können nicht garantieren, dass ihr Kind keine Gewalt an unserer Schule erlebt, dafür haben wir nicht die Kapazitäten.“ war eine der Aussagen der Schulleitung, nachdem ich, zum wiederholten Male, wegen extremen körperlichen Übergriffen ein Gespräch mit der Schule suchte.

2 Lehrkräfte auf 200-300 junge Menschen. Wie soll das auch funktionieren? Ich verstehe, dass es schwierig ist, den Überblick zu behalten und Selbstschutz für Lehrkräfte wichtig ist. Was ich nicht verstehe, ist dass nicht nach Lösungen gesucht wird bzw. Lösungsvorschläge mit allen möglichen Begründungen abgelehnt werden.

Einmal habe ich gefragt, warum nicht alle Lehrkräfte auf dem Schulhof sind und die Schulleitung war entsetzt über meine Frage. Die Antwort: „Die Lehrkräfte brauchen ihre Pause und einen Rückzugsort, um sich vom Unterricht zu erholen.“ „Schüler und Schülerinnen brauchen das nicht?“ war meine Frage. Schnappatmung folgte und eine Antwort blieb aus.

Auch junge Menschen brauchen Pausen, einigen Schülern und Schülerinnen ist der Trubel zu viel und sie hätten gern einen Rückzugsort. Zudem brauchen sie Schutz und Begleitung. Ja auch noch nach der 4. Klasse! Dieser Schutz wäre besser gewährleistet, wenn gleiches Recht für alle gelten würde.

Z. B. könnten auch Lehrkräfte ihre Pausen auf dem Schulhof verbringen. Bestimmte Räume könnten als Pausenräume zum Rückzug zur Verfügung gestellt werden. Stattdessen werden junge Menschen sich selbst überlassen, damit eine Partei etwas Erholung hat.

„[…] II. Verhaltensregeln – Unterricht/Pausen

9. Jeder Schüler achtet darauf, dass das Schulinventar sowie die gesamte Einrichtung der Schule nicht beschädigt oder verunreinigt werden. Für das persönliche Eigentum trägt jeder Schüler selbst die Verantwortung. […]“

Bei diesem Absatz fällt mir auf, dass die Verantwortung für Fremdeigentum auf Schüler übertragen wird und die Schule sich gleichzeitig von jeglicher Verantwortung für das Eigentum der Schüler freispricht. Eine gegenseitige Rücksichtnahme und Sensibilisierung für das Eigentum anderer, halte ich für angemessener.

Ein Praxisbeispiel:

Ein Gerät der Schule geht aufgrund einer Unachtsamkeit von Schülern kaputt oder verloren. Die Verantwortung liegt bei Schülern und Schülerinnen und diese werden aufgefordert das Gerät zu suchen oder zu ersetzen. Evtl. gibt es noch eine Disziplinarmaßnahme.

Ein Gegenstand einer Schülerin geht verloren oder kaputt. Die Verantwortung liegt bei der Schülerin und diese ist folglich selbst verantwortlich ihr Eigentum zu suchen oder zu ersetzen. Evtl. gibt es noch eine Beschämungsmaßnahme.

Was sollte hier anders laufen? Eine gemeinschaftliche Verantwortungsübernahme! Unfälle passieren! Daher sollte die Situation ohne Beschuldigungen betrachtet werden. Schüler und Lehrkräfte engagieren sich in beiden Fällen für das Auffinden oder ersetzen der Gegenstände. Lehrkräfte kommen ihrer Pflicht zur Aufsicht und Begleitung nach, um rechtzeitig einschreiten zu können. Schüler und Schülerinnen bekommen Unterstützung, wenn ihr Eigentum beschädigt oder verschwunden ist.

Mal abgesehen von Hausordnungen und Regeln in der Schule, gibt es genug weitere Beispiele.

Bei der Einhaltung der Schulpflicht werden junge Menschen sowie deren Eltern mit Bußgeldern und in Teilen Deutschlands sogar mit Freiheitsentzug bestraft. Weigern sich jedoch Schulen, Schüler nicht zu beschulen, stehen keine Sanktionen an. Stattdessen werden Gründe, wie Lehrermangel, geringe Kapazitäten, zu wenig Schulen usw. angeführt. Versteht mich nicht falsch, das alles gibt es tatsächlich und es sind Problematiken, mit denen wir uns auseinandersetzen sollten. Jedoch werden hier die Gründe und Ursachen erforscht, während es bei einer Schulverweigerung junger Menschen schlichtweg oft nur Drohungen und Bestrafungen hagelt. Unterrichtsausfälle werden begründet. Stundenweise Abwesenheit von Schülern und Schülerinnen als schwänzen bezeichnet.

Die Verantwortlichen unseres Bildungs- und Schulsystems sollten sich folgenden Fragen widmen:

1. Warum ist Schulpflicht, im Sinne von Pflichten im Zusammenhang mit Schule, eine Einbahnstraße?

2. Was wäre, wenn die Verantwortlichen der Schule genauso sanktioniert würden wie Schüler und Schülerinnen?

3. Was würde sich bessern, wenn wir jungen Menschen die gleichen Rechte zusprechen würden wie Erwachsenen?

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