Als Kind und Jugendliche war ich davon überzeugt, dass meine
Eltern so große Macht hätten, vieles in meinem Leben zu verändern. Selbst mit
30 war ich noch überzeugt davon, dass mein Leben in vielen Bereichen besser
verlaufen wäre, wenn meine Eltern sich damals mehr eingesetzt hätten. Als ich
selbst Mama wurde, wollte ich so vieles anders machen und das habe ich auch
getan. Gleichzeitig gab es immer wieder Situationen, in denen mir bewusstwurde,
dass ich als Mama nicht allmächtig bin und nicht über alles und jeden die Macht
habe.
Ich bin erwachsen und setze mich sehr für einen
friedvolleren Umgang mit jungen Menschen ein. Gleichzeitig stoße ich immer
wieder an Grenzen anderer Menschen, die komplett andere Ansichten dazu haben,
was (junge) Menschen brauchen. Ich habe mich aufgeopfert, gekämpft, diskutiert,
mich weitergebildet, belesen und Therapien gemacht. Weniger gearbeitet als
meine Eltern, mehr Gespräche in Kita und Schulen geführt. Versucht, Menschen zu
einem besseren Umgang zu bewegen, damit meine Kinder es besser haben.
Überraschung: Ich hatte nicht die Macht viel zu verändern.
Die meisten Menschen hörten mir nicht einmal zu, belächelten meine Worte und
Ansichten, fühlten sich persönlich angegriffen und begannen ihre Macht zu
nutzen, um es meinen Kindern und mir noch schwerer zu machen. Ein paar Menschen
waren offen für das, was ich zu sagen hatte, versuchten ebenfalls Veränderungen
zu etablieren und wurden wundervolle Begleiter.
Was das alles aber mit mir machte, fand ich genauso schlimm
wie als Kind den Gedanken: „Meine Eltern könnten etwas verändern, aber tun es
nicht.“ Ich war ständig unter Strom, gereizt, litt unter Schlafmangel, war
voller Ängste und beschämte mich selbst für meine Machtlosigkeit. Diese
Selbstverurteilung machte mich unzufrieden und diese Unzufriedenheit bekamen
meine Kinder zu spüren. Ich ließ meinen Frust an ihnen aus und das passiert mir
auch heute noch. Wenn auch in geringerer Intensität und viel seltener, aber
dennoch kommt es vor.
Ich fand es schrecklich, dass andere Menschen ihre Macht
nicht nutzen wollten um Verbesserungen zu etablieren, bis mir auffiel, dass es
gar nicht ums nicht wollen geht. Diese Menschen haben schlicht andere
Ansichten, Wahrnehmungen, Prägungen und Glaubenssätze. Diese in Frage zu
stellen, sich selbst neu auszurichten und neue Wege zu gehen braucht Heilung.
Heilung der eigenen Verletzungen und Traumata.
Es braucht den Willen zuzugeben, nicht perfekt zu sein und
Anteile in sich zu tragen, die man selbst eigentlich ablehnt. Und das ist
schmerzhaft. Es tut weh sich einzugestehen, dass man so viel Leid ertragen hat
unter dem Vorwand ein guter Mensch werden zu wollen und dann festzustellen,
dass man es nicht ist - zumindest nicht rundum zu 100%. Es ist schmerzhaft sich
damit auseinanderzusetzen, dass wir verletzt und unterdrückt wurden und unsere
inneren Kinder und Jugendlichen noch immer darunter leiden.
Wir haben sie weggesperrt tief ins Unterbewusstsein um ihren
Schmerz nicht mehr fühlen zu müssen, denn wer klein ist und seine Gefühle zeigt
wird zurechtgewiesen und bestraft. Strafen wollen wir nicht mehr ertragen, denn
wir sind jetzt groß und müssen dafür sorgen, dass alles läuft und auch die
neuen kleinen Menschen gute erwachsene Menschen werden.
Wenn wir jetzt hinschauen und all diesen Schmerz in uns
sehen, all die unterdrückten Gefühle fühlen und uns klar wird wie sehr wir
selbst andere verletzen oder verletzt haben scheint das unerträglich. Deshalb
bleiben viele Menschen in ihrem Verhalten, ihren Ansichten, kämpfen mit allen
Mitteln dafür diesen Schmerz nicht fühlen und ihre eigenen Fehler nicht sehen
zu müssen.
Ganz ehrlich, ich verstehe das! Ich arbeite meinen ganzen
Scheiß schon seit meiner Jugend in Therapien auf und seit 6 Jahren in
Eigenarbeit - was mich wesentlich weitergebracht hat als 20 Jahre Therapie. Selbst
heute gibt es Anteile in mir, die ich mich nicht traue anzuschauen. Schmerz den
ich nicht fühlen will und vergangenes das ich nicht aufwühlen möchte.
Und das ist ok! Ich entscheide wann ich wozu bereit bin! Und
genau das möchte ich auch anderen zugestehen. Ich kämpfe nicht mehr. Ich
verurteile nicht mehr. Ich diskutiere nicht mehr. Ich stehe ein! Für mich,
meine Werte, meine Bedürfnisse und meine Grenzen.
Ich habe nicht die Macht andere Menschen zu ändern. Ich habe
die Macht mich zu ändern. Ich glaube wir schreiben anderen Menschen sehr oft zu
viel und uns selbst zu wenig Macht zu.
Ich habe Macht aber ich bin nicht allmächtig. Andere haben
Macht aber auch sie sind nicht allmächtig. Was mache ich denn nun mit dieser
Erkenntnis? Ich nutze meine Macht.
Ich frage mich immer wieder: „Was kann ICH tun?“
Ich kann meine Gefühle fühlen.
Ich kann mein Verhalten beeinflussen.
Ich kann Gutes für mich und meine Mitmenschen tun.
Ich kann anderen Menschen empathisch begegnen.
Ich kann über mich und meine Ansichten sprechen, ohne andere
für ihre Ansichten zu verurteilen.
Ich kann mein Nervensystem regulieren.
Ich kann die Kita oder Schule meiner Kinder wechseln.
Ich kann mich reflektieren.
Ich kann meine eigenen Erfahrungen aufarbeiten.
Ich kann mich selbst heilen.
Ich kann meine Werte festlegen.
Ich kann mich um meine Bedürfnisse kümmern.
Ich kann mir ein neues Umfeld suchen.
Ich kann meinen Arbeitsplatz wechseln.
Ich kann Gespräche mit Menschen führen und meine Grenzen
kommunizieren.
Ich kann mir eine schöne Zeit machen.
Ich kann meine Wut konstruktiv rauslassen ohne andere zu
verletzten.
Ich kann trauern, darüber was ich erlebt habe, darüber, dass
andere mich nicht verstehen, darüber, dass ich die Welt nicht verändern kann.
Ich kann sensibilisieren, aufklären und mich selbst so
verhalten, wie ich es von anderen wünsche.
Ich kann meine Gefühle verstehen lernen.
Ich kann neue Strategien und Lösungswege finden.
Ich habe Macht und ich kann sie nutzen!
Fühlst du dich manchmal machtlos? Wünscht du dir, dass andere Menschen ihre Macht anders nutzen? Nutzt du selbst deine Macht in Einklang mit deinen Werten?
Egal wie du diese Fragen für dich beantwortest. Ich versteh dich. Das Leben ist vielseitig, kein Tag ist wie der andere und nicht immer handeln wir nach unseren Grundsätzen. Ich bin nicht hier um zu belehren. Ich bin hier um Perspektiven aufzuzeigen und zum Reflektieren einzuladen.